Willkommen in meinem Leben




[55] die Falle.

[55]

Montag, 31 Januar 2011.



Als Nico sagte "Hey ... Vanessa hat mich vor ein paar Wochen angeschrieben..."
hatte ich etwas ganz anderes erwartet,
als das was mich jetzt erwartete.
einen blöden Scherz.
So wie er ihn hin und wieder mal machte.
Er saß neben mir auf dem Sofa, hatte seine Hand auf meine Schulter gelegt und mir ins Gesicht gesehen.
Vanessa hatte auf dem alten roten Sessel uns gegenüber gesessen.
Ich hatte Nico angelächelt.
Auf das was kam, war ich nicht vorbereitet gewesen.
Ich war von einem Scherz ausgegangen.

"Das war geplant", hatte Nico weiter gesprochen.
Geplant ? Was ?
Von einen auf den anderen Moment war das Grinsen schlagartig aus meinem Gesicht gewichen.
"Wir wollen nur mit dir reden", hatte Nico ruhig gesagt.
Reden?
Langsam formte sich ein Bild in meinem Kopf.
Ich war in eine Falle getappt.
In eine ganz gemeine Falle.

Als Vanessa mich angeschrieben hatte, ob ich am Montag mal Zeit hätte,
hatte ich mir nichts dabei gedacht.
Und Nico hatte so getan, als würde er sich freuen.
Schließlich hatte er Vanessa nur damals an meinem Geburtstag gesehen.
Seitdem waren Monate vergangen.

"Spinnt ihr?", fuhr ich Nico an und setzte mich Kerzengerade hin.
"Lauf jetzt nicht weg", der Druck von Nicos Hand auf meiner Schulter verstärkte sich.
"Ey ne", ich schüttelte seine Hand ab.
Ich wollte aufstehen.
Nico hatte versucht mich festzuhalten.
Er stand mit mir auf, hielt mich fest.
"Lauf nicht weg bitte, wir wollen nur mit dir reden".
"Fass mich nicht an!", mit diesen lauten Worten war meine Hand in Nicos Gesicht gelandet.
Ich hatte sogar verdammt fest zugeschlagen.
Was ich in diesem Moment nicht einmal gemerkt hatte.
Er hatte keine Regung gezeigt.

Und ab da an, zeigte ich auch keine Regung mehr.
Ich hatte völlig dicht gemacht.
Sie wollten mit mir reden?
Ich hatte mich so verarscht gefühlt.
So verdammt verarscht.
Das ganze war ein abgekartertes Spiel gewesen.
Ich hatte nur noch weg gewollt, weit weg.
Ich wollte nicht reden.
Worüber auch?
Nico und ich hatten das Thema in den letzten Wochen oft genug diskutiert.

Selbst diese Tatsache hatte er versucht sich zu nutze zu machen.
Er hatte auf mich eingeredet.
Mit mir gesprochen wie, mit jemandem der psychisch mehr als labil ist.
Er hatte gesagt, er würde mich verstehen aber ich würde doch selbst wissen, dass es so nicht weiter gehen könne.

"Hör auf mich zu interpretrieren", warf ich ihm vor.
"Das tu ich doch gar nicht", hatte er sich verteidigt.

"Wir wollen dir nur helfen", meinte Nico.
Mittlerweile war ich aufs Bett geflüchtet.
Saß dort zusammengesunken mit gesenktem Kopf.
Meine langen schwarzen Haare hingen mir vorm Gesicht.
So hatte ich weder Nico, der neben mir saß noch Vanessa die auf dem Fußboden vor meinem Bett gesessen hatte, ansehen müssen.
Und die beiden hatten mir auch nicht ins Gesicht können.

Ich blockte immer noch jeden ihrer Versuche ab mit mir zu reden.
Betonte als einziges nur, dass ich nicht mit ihnen reden wollte.
Ich hatte immer noch dicht gemacht.
In mir war auch nichts mehr.
Kein einziges Gefühl.
Kein einziger Impuls.
Nichts.
Nur Leere.

Nico hatte mich immer wieder berührt & jedes Mal hatte ich ihn angefahren.
"Fass mich nicht an".
Er tat es wieder.
"Ich hab dir gesagt du sollst mich nicht anfassen!".
Dann hatte Nico aufgegeben.

Vanessa meinte, ich solle nicht so böse auf ihn sein.
Er würde sich doch auch nur Sorgen machen, genau wie sie.
Sie hätte sich das alles viel zu lange angesehen.
Über ein Jahr schon.
Zuerst hätte sie sich für mich gefreut,
ich hätte damals angefangen zu lachen.
Zu leben.
Doch der Preis den ich dafür zahlen würde, der wäre zu hoch.

Was redete sie da?
Ich hatte mir die Höhe des Preises für dieses Leben selbst gesetzt.
Mein Leben.
Mein Körper.
Meine Sache.

Meine verdammte Sache ...

Vanessa hatte eine verdammte Zeit lang geweint.
Die beiden kamen nicht gegen mich an.
Ich redete kaum ein Wort.
Nur manchmal ein paar Sätze.
Ich hätte mir diesen Weg ausgesucht.
Ich würde wissen was ich tue.
Und ich würde es weiter machen.
Weiter machen, bis zum bitteren Ende.

Sie hatten trotzdem versucht auf mich einzureden.
vergeblich.

Nico hatte geweint. Wieder.
Ein Schmerz hatte kurzzeitig die Leere in mir unterbrochen.
Kurzzeitig hatte es weh getan, Nico so zu sehen.
Verdammt weh.
Dann würde der Schmerz wieder von dieser Leere abgelöst.
Alles war wie vorher.

Als Nico kurz aufs Klo verschwunden war, stopfte ich mir eine Kippe.
Ich hatte Vanessa einfach unbeachtet sitzen lassen.
Ich hatte die beiden sowieso seit einer halben Ewigkeit nicht mehr angesehen.
Ich hatte allein auf den Dachboden gewollt um zu rauchen.
Doch Nico fing mich auf dem Flur ab.

"Wo willst du hin?".
"Rauchen", hatte ich geantwortet.
"Ich komme mit", sagte er ruhig.
"Nein, ich gehe alleine", ich sah ihn nicht an.
Immer noch nicht.
"Ich komme mit", sagte er wieder.
"Verpiss dich, bitte!", zischte ich.
Doch Nico ging nicht.
Er kam mit.
Trotzdem ignorierte ich ihn.
Zündete die zweite Kippe direkt an der ersten an.
Ich hatte Nico auch nicht angesehen, als wir den Dachboden wieder verließen.

Mit den ganzen Abfuhren, die ich Nico immer wieder erteilt hatte,
musste ich ihm verdammt weh getan haben.
Er litt.
Das war unschwer zu erkennen.
& ich hatte darunter gelitten Nico leiden zu sehen.

Aber ich hatte nichts tun können.
Vielleicht wollte ich auch gar nicht.
Aus Trotz vielleicht.
Oder einfach, weil ich nicht gewusst hatte, was ich hätte tun sollen.
Vanessa hatte ich noch viel mehr ignoriert als Nico.
Ich hätte schlecht zu Nico hingehen und ihn in den Arm nehmen können.
Vorallem, weil ich selbst nicht wollte, dass er mir jetzt zu nah kam.

Die ganze Zeit über hatte mein Kater auf meinem Bett geschlafen.
Ich hatte dort immer noch gesessen.
Seine kleinen Pfötchen stupsten im Schlaf in meinen Rücken.
Ich hatte begonnen ihn zu streicheln.
Mir war hin und wieder ein Lächeln über das Gesicht gehuscht.
Immer dann, wenn Kater schnurrte oder sich im Schlaf reckte und streckte.

Nico und Vanessa hatten sich wieder auf Sofa und Sessel verzogen.
Ignorierten mich kurzzeitig so wie ich sie die ganze Zeit über ignoriert hatte.

Dann war Nico aufgestanden.
Selbst eine rauchen.
Vanessa blieb auf dem alten Sessel sitzen.
"Pass auf das sie nicht weg läuft", hatte Nico noch gesagt.

Wo hätte ich denn bitte hinlaufen sollen?
Jetzt musste schon auf mich aufgepasst werden.
Super.
"Ich lauf schon nicht weg", hatte ich zu Vanessa gesagt.
Einer der wenigen Sätze die ich von mir gegeben hatte.
"Ich weiß", hatte sie nur gemeint.

Ich hatte mir an den Hals gefasst.
An die Kette, das kleine Herz, welches Nico mir zu Weihnachtengeschenkt hatte
& die ich seitdem kein einziges Mal abgenommen hatte.
Ich hatte den Verschluss nach vorne gefummelt.
Ihn geöffnet und die Kette vom Hals gezogen.
So war sie dann in der Tasche meiner Sweat-Jacke gelandet.
"Willst du Schluss machen?", hatte Vanessa gefragt.
Ich hatte ihr nicht geantwortet.
Ich hatte auch gar keine Antwort auf diese Frage.
Ja. Nein. Vielleicht.
Ich konnte Nico kaum ansehen.
Nicht nur aus Trotz.
Ich hatte irgendwie Angst.
Angst davor, wie viel diese Leere die immer noch in mir herrschte,
wirklich eingenommen hatte.

Vielleicht hatte Nico jetzt, mit dem was er hier mit Vanessa tat, einen verdammten Fehler gemacht.
Einen verdammt fatalen Fehler.

With every word another feeling dies
I'm left here in the dark
No memories of you
I close my eyes
It's killing me
We die when love is dead
It's killing me
We lost a dream we never had
It's over now
What can we take?
It all has no worth if we lose our trust

[Tokio Hotel]

Nico kam wieder ins Zimmer.
Setzte sich zurück aufs Sofa.
Kurze Zeit später war ich aufgestanden und zur Tür gegangen.
"Wo willst du hin?", hatte Nico gefragt.
"Wohin", dann hatte ich die Tür zu geknallt.

Ich war unten im Gästebadezimmer verschwunden.
Für einen Moment.
Dann hatte ich noch kurz unten an der Treppe gestanden.
Von dort aus hatte ich noch gehört, wie Vanessa oben sagte
"Vielleicht ist sie nach unten".
Ich stieg die Treppe hoch.
"Ah, jetzt werde ich schon kontrolliert", giftete ich.

In meinem Zimmer setzte ich mich wieder alleine aufs Bett zum Kater.
"Rede doch einfach mit uns bitte", hatte Nico es noch einmal versucht.
"Jetzt bestimmt nicht mehr", zischte ich.
"Wieso?", hatte Nico gefragt.
"Denk mal nach", giftete ich weiter.

Ich war sowieso sauer gewesen.
Aber Kontrolle war das aller letzte.
Wenn nicht schon das, was Vanessa und Nico hier mit mir abzogen, das letzte war.

"Ich will dich doch nicht kontrollieren", hatte Nico angesetzt.
"Du weißt doch was letztes Mal passiert ist, als du so geflüchtet bist".
"Ich tu schon nichts!", hatte ich ihn angemault.

Aber ja,
ich wusste auf welches Thema er jetzt anspielte.
Bei der letzten eskalierten Auseinandersetzung, war ich auch ins Bad geflüchtet.
& hatte wieder geritzt.
Zumindest hatte ich es versucht.
Das Bad hatte zu dem Zeitpunkt nicht viel hergegeben.
Nur eine stumpfe, alte Schere.
Damit hatte es nicht mal richtig funktioniert.
& dieses Mal, hatte ich das auch gar nicht vorgehabt.

Denn jedes Mal, träumt sie sich weg. Weit weg. Sie fühlt sich nur, wenn es schmerzt. Sonst kommt nichts an sie ran. Sie spürt sich nur, wenn es schmerzt. Wenn die Klinge sie berührt. Dann fühlt sie ab und an ihr Herz, genießt ihren Schmerz. Denn mit jedem Schnitt fühlt sie sich, so vedammt am leben.

[Selina Shirin Müller]

Es herrschte wieder Stille.
Eine ganze Zeit lang.
Dann leutete die Kirchturmuhr, ein paar Straßen weiter.
Mitternacht.

"Was jetzt?", hatte Nico es noch mal versucht.
Ziemlich leise, ihm ging die Kraft aus, dass war zu spüren.
Er konnte nicht mehr.

"Ich muss in sieben Stunden wieder aufstehen", hatte ich gesagt.
"Ich würde gerne schlafen".
Zwar hatte ich am nächsten Tag frei, aber einen allgemeinen Arzt-Termin.

"Ja ... war klar", kam es seufzend und kraftlos von Nico.
Ich hatte weder ihn noch Vanessa angesehen.
Immer noch nicht.
Ich hörte wie Vanessa ihre Tasche und ihre Jacke griff und aufstand.
Ich brachte sie noch zur Haustür.
Sprach kaum ein Wort.

"Sei nicht so hart zu ihm", hatte sie draußen noch gesagt.
"Er macht sich nur Sorgen um dich".
Dann war sie gefahren.
& es war wohl das letzte Mal gewesen, dass ich sie sah.

Nico würde über Nacht bleiben ...

Ich schlich zurück hoch in mein Zimmer,
ignorierte Nico der noch immer auf dem Sofa saß,
holte meine Schlafsachen und verschwand im Badezimmer um mich umzuziehen.

Wieder in meinem Zimmer hatte ich mich zurück aufs Bett gesetzt.
Nico hatte ausgestreckt auf dem Sofa gelegen
& mich angesehen.
"Und jetzt?", hatte er gefragt.
Ich gab keine Antwort.

Nach einer Weile setzte Nico erneut an.
"Jetzt sitzen wir hier und schweigen uns an. Wie lange noch?".
Ich gab wieder keine Antwort.

"Gibst du mir mal bitte das Wasser?".
Ich drehte den Kopf.
Die Wasserflasche hatte dierekt neben meinem Bett gestanden.
Ich hatte danach gegriffen,
sie kurz in der Hand gehalten.
Dann war ich vom Bett aufgestanden
& hatte mich zum Sofa bewegt.
Ich hatte Nico die Flasche gegeben und mich neben ihn gesetzt.

Wir hatten geschwiegen, eine Zeit.

"Du hast die Kette abgenommen", hatte Nico gesagt.
Ich hatte gehofft, er würde es gar nicht erst sehen,
das Shirt welches ich trug war nicht ausgeschnitten.
Das Vanessa es ihm gesagt hatte, wusste ich nicht.

Ich hatte mir an den Hals gegriffen,
nach der nicht mehr vorhandenen Kette getastet.

"Warum?", hatte Nico gefragt.
"Keine Ahnung", sagte ich leise.

Ich hatte mich wieder aufs Bett verzogen,
irgendwann war Nico mir nach gekommen.
Er hatte immer noch Tränen im Gesicht.

Er wird fest damit gerechnet haben,
dass nun alles vorbei war.
Das er verspielt hatte.

Er hatte sich praktisch mit seinem letzten Zug selbst Schachmatt gesetzt...

Ich hatte meine Hand auf seine gelegt,
tröstend.
Er zitterte.

Die andere Hand hatte ich auf sein Gesicht gelegt,
vorsichtig über seine Wange gestrichen.
Sie war nass von dem Tränen.

"Hör auf zu weinen", hatte ich geflüstert.
Nico hatte ein bisschen gelächelt.
Dann hatte er seinen Kopf auf meine Schulter gelegt und mich fest im Arm gehalten.
Ich hatte ihm durch die Haare gestrichen.

Er tat mir so unendlich leid.

Er löste sich wieder von mir.
Meine Hand wanderte wieder auf sein Gesicht.
"Ist in Ordnung jetzt, okay?".
Er nickte, seine Augen waren immer noch gerötet.

Gib mir dein Feuer
zeig mir wo die Sehnsucht in dir Wohnt
Gib mir deine Liebe,
frag mich nicht danach ob sich das lohnt.
Gib mir dein Feuer
Zeig mir deine Tränen im Gesicht,
zeig mir deine Liebe
Zeig mir dass du Angst hast so wie ich...

[Luxuslärm]


Nico hatte zwar gesagt, er würde heute Nacht auf dem Sofa schlafen,
lag dann aber doch neben mir im Bett.
Weil ich es so gewollt hatte.
Ich hätte es nicht ertragen Nico aufs Sofa zu schicken,
auch wenn seine Nähe auch nicht ganz angenehm war.
Und obwohl irgendwas in mir kurzeitig überlegt hatte,
Nico jegliche Nähe zu verweigern.

Dennoch lagen wir nah beieinander,
mit den Gesichtern zugewendet.
Es war dunkel im Raum.
Meine Hand lag wieder auf seinem Gesicht,
strich behutsam darüber.

Wir redeten.
Darüber was passiert war.
Ein bisschen darüber, wie ich mich fühlte.
Wie sehr das alles Nico zugesetzt hatte
& wie sehr er vor meiner Reaktion auf diese Aktion Angst gehabt hatte.

Und dann stellte Nico diese eine Frage.
Mir wurde schlecht, richtig schlecht.
Und es brach mir fast das Herz.
Schon allein seine Tonlage lies mir alles gefrieren.
Seine Stimme klang so verweint und er zitterte wieder.
"Liebst du mich noch?".

"Natürlich..." hatte ich gesagt.

"Verlass mich nicht", hatte Nico mich gebeten.
Ich hatte geschwiegen.
"Gestern konntest du es noch versprechen", Nico klang noch viel trauriger als eben.
Aber er hatte recht gehabt, am Vortag hatte ich es wirklich noch versprechen können.

Und jetzt?
Jetzt wohl nicht mehr.
Zumindest nicht in diesem Moment.
Ich fühlte mich immerhin noch immer hintergangen und völlig angefahren.
So verdammt verarscht.

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