Willkommen in meinem Leben




Erinnerungs Koffer

Verfasst: 17 Mai 2010.

Den folgenden Text habe ich vor ein paar Monaten geschrieben, er sollte der Prolog zu meinem zweiten Manuskript werden. Dieser Text beruht auf einer wahren Begebenheit, so wie es das ganze Buch hätte tun sollen.
Allerdings habe ich aufgehört an diesem Manuskript zu arbeiten. Eigentlich sollte es IHM gewidmet werden und ich hatte angefangen zu schreiben als es mit uns aufgehört hatte, doch es erschien mir irgendwann sinnlos.
So wie er sich gibt, macht es einfach wenig Sinn.

In dem Prolog geht es um den Tag an dem ich zum ersten Mal mit IHM in Kontakt treten wollte. Der Tag an dem ich beschlossen hatte Anton ein für alle Mal zu vergessen.
Der 8 Januar 2010.
Anlässlich der momentanen Situation zu Anton sollte ich mir eben dies wohl wieder ins Gedächtnis rufen.

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©blair.lucy

Ich saß in haufenweise verstreut liegender Zettel und Fotos. Auf meinem Schoß lagen einzelne Papierschnipsel und vor meinen Füßen lag der alte, eingestaubte Koffer. Es muss schon Jahre her sein, dass ich diesen Koffer einmal beim Sperrmüll aufgegriffen hatte. Auch, wenn er schon damals an den Ecken abgenutzt war und seine braune Farbe langsam abblätterte, hatte er mir gefallen. Ich hatte ihn einfach mitgenommen, seitdem verstaubte er unter meinem Bett. Heute holte ich ihn zum ersten Mal wieder darunter hervor. Ich hatte einige Versuche gebraucht um das gold schimmernde Zahlenschloss richtig Einzustellen um den Koffer öffnen zu können. Aufgeklappt stand er vor mir, darauf wartend endlich einen Zweck zu erfüllen. Ich wusste, eines Tages würde ich diesen verstaubten Koffer einmal brauchen. Und jetzt brauchte ich ihn. Sorgfältig faltete ich die Papiere, die um mich herum lagen, häufte die Notizzettel im Inneren des Koffers und warf die letzten Fotos hinein. Und ich hatte System, ich wusste genau welches Foto, welcher Zettel und welche Erinerrung zusammengehörten. Und all das, sollte jetzt in diesem Koffer verschwinden. Und der Koffer sollte wieder unter meinem Bett verschwinden, damit er voll und glücklich, mit all diesen Dingen, die nun in ihm drin waren, erneut verstauben konnte. Lächelnd sortierte ich die letzten Bilder ein. Ich lächelte nicht auf Grund der Erinnerungen, sondern weil ich diese Erinnerungen nun ein für alle Mal verbannen würde. Und es ging mir richtig richtig gut dabei. Aus den Lautsprechern meines Radios dröhnte mein neues Lieblingslied, seit Stunden lief es nun in der Endlosschleife. Erst heute war ich auf dieses Lied gestoßen und konnte nicht mehr genug davon kriegen. Den Text konnte ich schon seit den ersten Durchläufen auswendig und summte leise mit. Dieses Lied, tat mir einfach gut. So irre das auch klang, es weckte neue Lebensfreude in mir und es hatte den Entschluss geweckt, endlich neu anzufangen, los- und alles Alte hinter mir zulassen. Ab jetzt würde alles besser werden, alles würde sich ändern, alles würde neu sein. Ich drückte praktisch die Reset-Taste in meinem Leben, überspielte die alten Tonbänder und malte neue Bilder in meinen Gedanken. Nur noch wenige Fotos lagen vor mir, dazu ein einziger Briefumschlag. Mit spitzen Fingern steckte ich die Fotos in das gefaltete, blütenweiße Papier und lies diesen letzten Briefumschlag mit den letzten Erinnerungen an das, was einmal gewesen war, in den Koffer segeln. Dann zog ich den alten Koffer auf meinem Schoß, warf einen letzten Blick in sein Inneres und klappte den Deckel mit einem lauten Scheppern herunter. Meine Finger glitten fast wie von selbst über die kleinen Zahlenrädchen rechts und links der goldenen Verschlüsse. Der Koffer war verschlossen. Und er würde verschlossen bleiben. Alles war jetzt in ihm eingeschlossen, es sollte nicht wieder aus ihm herauskommen. Vorsichtig, um den Inhalt durch eine Erschütterung nicht durcheinander zubringen, wuchtete ich den Koffer wieder von meinem Schoß und schob ihn langsam über den schwarz-weißen Teppich unter mein Bett. „Und da bleibst du“, murmelte ich, meine leise Stimme kam gegen die laute Musik, die immer noch aus meinem Radio schallte, nicht an. Es reichte, wenn ich dachte und wusste, was ich sagen wollte. Der Koffer konnte mich sowieso nicht
verstehen. Ich stand vom Fußboden auf, klopfte mir den Staub von meinem Kleid und meiner Strumpfhose. Mein Blick richtete sich gerade aus und ich sah direkt in den großen roten Spiegel, der an meiner Wand hing. Das Lächeln lag immer noch auf meinem Gesicht, jetzt konnte ich es sogar selbst sehen und nicht nur fühlen, wie sich die Wangen anspannten. „Das bist jetzt du“, flüsterte ich meinem Spiegelbild zu und wäre nicht ich selbst dieses Mädchen im Spiegel gewesen, dann hätte mich diese lächelnde Person nicht verstehen können, die Musik war zu laut. Die schon lange knarrenden Lautsprecher gaben ihr Bestes und ich fragte mich, wie lange sie wohl noch durchhalten würden. Das Mädchen im Spiegel lächelte mich immer noch an und ich lächelte zurück. Ich hatte schon befürchtet, dass Lächeln ganz verlernt zu haben, doch jetzt schien es wieder zu funktionieren. Es wirkte immer noch ein bisschen unecht und gezwungen, denn es war immer noch das falsche Lächeln, dass ich solange mit mir herum getragen hatte. Doch dieses Lächeln sollte noch eine Chance bekommen. Eine Chance um wieder echt und überzeugend zu wirken. Jemand würde mir beibringen, wieder ehrlich zu Lächeln, ganz bald. Ich sah genauer hin, etwas an meinem Spiegelbild passte nicht zu meinem Lächeln. Dünne schwarze Schlieren lagen klebrig über meinen Wangen. Sie zogen sich von unter den Augen bis nahe an den Mund heran. Vorsichtig wischte ich mit spitzen Fingern über meine Wange. Die schwarze Farbe haftete an der Kuppe meines Zeigefingers. Sie war feucht. Wieder sah ich genauer in den Spiegel. Ich musste geweint haben. Die Tränen hatten sich mit meiner Schminke verwischt und waren meine Wangen hinab gelaufen. Ich hatte es nicht einmal bemerkt. Mit dem Handrücken wischte ich über meine Augen, jetzt war die Farbe völlig verschmiert. Suchend sah ich mich nach einem Taschentuch um. Als ich eins fand, stellte ich mich dicht vor den roten Spiegel. Ich befreite mein Gesicht von der schwarzen Farbe und von der letzten Tränenflüssigkeit. Es sollten die letzten bitteren Tränen gewesen sein, die ich geweint hatte. Ich musste jetzt das Lächeln üben, weinen durfte ich nicht mehr. Achtlos lies ich das beschmierte Taschentuch auf den Boden sinken. Mit leisen Schritten ging ich zum Radio, aus dem noch immer laut mein neues Lieblingslied tönte. Ich stellte es aus. Stille. Ich schlich mich aus meinem Zimmer und die Treppe herunter. Im Wohnzimmer schlief die Frau, die alle für meine Mutter hielten. Vielleicht war sie auch meine Mutter, ab ich sah sie nicht als diese an. Wieder hatte sie nicht gemerkt, dass ich Stunden in meinem Zimmer gesessen und geweint haben musste. Sie war so blind, sie übersah so vieles. Ich versuchte gar nicht erst, die Tür zum Garten leise zu öffnen. Es war mir egal, wenn diese schlafende Frau auf dem Sofa aufwachen würde. Auch war es mir egal, dass sie weiter schlief als ich geräuschvoll die Tür geöffnet hatte. Ich stand dieser Frau völlig gefühlskalt gegenüber, auch wenn es für Außenstehende so aussah, als würden wir uns so gut verstehen, wie Mutter und Tochter dies eben tun. So war es nicht. Das einzige, was ich manchmal für sie fühlte war Verachtung und Wut. Trotzdem war ich manchmal erleichtert, dass sie von nichts eine Ahnung hatte. Als ich nach draußen trat, zog ich die Tür hinter mir zu. Auf dem Gartentisch lag meine angebrochene Zigarettenschachtel und mein Feuerzeug. Im Haus war es mir verboten zu rauchen, also lies ich meine Sachen meist draußen liegen. Ich zündete mir eine Zigarette an und sog gierig den Rauch in meine Lungen. Wie ungesund. In diesem kleinen Garten in dieser Reihenhaussiedlung fühlte ich mich so schrecklich eingesperrt. Rechts und links grenzten an unseren Garten weitere Gärten. Nach hinten raus, begann der Garten der vorderen Häuserreihe. Schrecklich. Wenn man sich so eingesperrt fühlte, war es kein Wunder wenn man auf dem Fußboden saß und jegliches Gefühl für Zeit und Raum verlor. Doch mit dem Koffer und all den Erinnerungen, die er nun mit sich herum trug und die ich alle samt unter mein Bett verbannt hatte, bekam ich dieses Gefühl, dass sich jetzt vieles ändern würde. Vieles sollte jetzt besser werden.

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